Nader und Simin, eine Trennung

Druckversion
Im Kino und auf DVD
Nader und Simin vor dem Richter Bild: Alamode Film

„Es schickt sich nicht, wenn eine Frau einen Mann dort wäscht“... Razieh (Sareh Bayat) ist als Pflegerin in einer Familie zu Hilfe geholt worden. Sie ist eine ungelernte Kraft und hat die Stelle trotz ihrer Schwangerschaft eigentlich nur stellvertretend für ihren Mann angenommen, weil dieser aufgrund seiner Schulden bei Gläubigern verhindert ist. 

Sie ist mit der Pflege des alten Mannes überfordert, dessen Demenz so weit fortgeschritten ist, dass er meist verwirrt und hilflos ist. Seine Inkontinenz löst bei ihr religiöse Zweifel aus und sie ruft ihren Imam an, um herauszufinden, ob es ihr erlaubt ist, ihn zu waschen. 

Die Demenz des Großvaters nimmt in der Gesamtkonstellation immer wieder eine Schlüsselrolle ein: Nader (Peyman Moadi) und Simin (Leila Hatami) sind seit 14 Jahren verheiratet und leben gemeinsam mit ihrer Tochter Termeh (Sarina Farhadi) in der iranischen Hauptstadt Teheran. Doch in der Ehe kriselt es schon seit geraumer Zeit und Nader und Simin stehen kurz vor der Trennung. Simin träumt davon, ihr Heimatland zu verlassen, damit ihre Tochter unter besseren Umständen aufwachsen kann. Doch weil Nader seinen Vater nicht zurücklassen möchte, streiten sie vor dem Richter um ihre Scheidung. Dieser Streit bildet dann zwar den Hintergrundkonflikt, der nicht zuletzt die noch schulpflichtige Tochter in Entscheidungsnöte bringt, denn sie muss sich am Ende entscheiden, ob sie bei Nader oder bei Simin bleiben möchte. Kinder, die nur wenig Lebenserfahrung haben, spielen eine wichtige Rolle im Erzählten. Andererseits erinnert sich der alte Mann nicht mehr an sein Leben. Jugend und hohes Alter – sie verbindet so die fehlende Kontrolle über das eigene Schicksal.

Der Großvater wird von allen liebevoll und respektvoll behandelt – vielleicht ein Indiz dafür, dass man auch im Iran dabei ist, dieser Beeinträchtigung einen Platz in der Gesellschaft zuzugestehen. Freilich verläuft dies keineswegs konfliktfrei, wie in diesem Szenario studiert werden kann. Demenz steht nicht im Zentrum, hat aber einen wesentlichen Anteil an der Dramatik der Entwicklung: als Razieh eines Tages einen Arzttermin wahrnehmen muss, fesselt sie den schlafenden alten Mann an sein Bett und schließt ihn ein. Unterdessen kommen Nader und seine Tochter nach Hause und finden ihn. Der Schreck ist groß, denn er hat sich bei seinen Befreiungsversuchen in den Schläuchen des Beatmungsgeräts verheddert. Die ohnehin aufgeregte Situation eskaliert, als Nader die zurückgekehrte Razieh mit dem Verdacht, sie habe Geld genommen, aus der Wohnung weist und die Treppe hinabstößt.

Im weiteren Verlauf werden die komplexen Fragen von Schuld, Vertrauen und Verantwortung nicht nur vor dem Richter verhandelt. Dabei interessiert sich die Regie für alle Figuren, keine wird bevorzugt oder verurteilt. Die individuellen Beweggründe werden bei allen Protagonisten soweit durchsichtig, dass eine stete Spannung erhalten bleibt, denn die Handlungen aller Beteiligter sind ebenso ambivalent wie nachvollziehbar. 

Jede/r ZuschauerIn zieht eigene Schlüsse. Dies verstärkt der Regisseur durch dramaturgische Verweise und Auslassungen. Oft wird das Ende einer Szene gar nicht ausgespielt oder gezeigt, sodass man sich den Fortgang aus den nachfolgenden Entwicklungen und Indizien selbst erschliessen muss. Details stellen sich später als entscheidend heraus. Die Sicht auf Verhaltensweisen und Dinge verändern sich im ständigen Fluss. 

Die Handkamera bleibt immer nah dran bei an den Personen und unterstützt damit den dokumentarischen Stil der Inszenierung. Zugleich bieten sich damit tiefe Einblicke in den iranischen Alltag und exemplarische Konflikte im Milieu von zwei Familien – eine aus dem Mittelstand und eine aus ärmeren Verhältnissen, die streng religiös lebt. Ein großssartiges Schauspielerensemble und die subtile Dramaturgie wurden international mit einer Vielzahl von Preisen belohnt: im Rahmen der Berlinale gewann der Film 2011 mit dem Goldenen Bären den Hauptpreis des Festivals sowie den Silbernen Bären für das beste männliche und weibliche Schauspielensemble, weitere Auszeichnungen folgten bis hin zum jeweils besten ausländischen bzw. fremdsprachigen Film beim Golden Globe Award und César sowie den London Critics’ Circle Film Award in den Kategorien bester fremdsprachiger Film und bestes Drehbuch und schließlich den Oscar 2012 in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film sowie eine weitere Nominierung für das beste Originaldrehbuch.

cev


Nader und Simin, eine Trennung
Iran 2011
123 Min.
Regie: Asghar Farhadi 
Mitwirkende / DarstellerInnen: Leila Hatami, Peyman Moadi, Sareh Bayat, Shahab Hosseini, Sarina Farhadi, Ali-Asghar Shahbazi
Produktion: Asghar Farhadi
FSK: ab 12
Verleih: Alamode Film, München
DVD/Blu-ray: Amazon