Enger: Eine Sternstunde mit David Sieveking

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Enger. Gretel ist Ende sechzig, als die Familie erste Veränderungen an ihrem Verhalten feststellt. Doch erst rund zwei Jahre später, als sich die Symptome schon rapide verstärkt haben, erhalten Ehemann und Kinder nach einer medizinischen Odyssee die niederschmetternde Diagnose: Alzheimer.
Ort: 
32130 Enger

„Ich bin dein Sohn“

Eine Sternstunde erlebten 100 Besucher/innen mit David Sieveking im katholischen Gemeindehaus in Enger

Enger.       Gretel ist Ende sechzig, als die Familie erste Veränderungen an ihrem Verhalten feststellt. Doch erst rund zwei Jahre später, als sich die Symptomeschon rapide verstärkt haben, erhalten Ehemann und Kinder nach einer medizinischen Odyssee die niederschmetternde Diagnose: Alzheimer.

Als die häusliche Pflege Ehemann Malte über den Kopf zu wachsen droht, will der jüngste Sohn helfen. David Sieveking ist Filmemacher und beruflich stark eingebunden. Deshalb hat er die Idee, die Geschichte seiner Mutter Gretel zu verfilmen und sich dabei gleichzeitig um sie zu kümmern. Der so entstandene Film „Vergiss mein nicht“ läuft seit Ende Januar in vielen Kinos. Im katholischen Gemeindehaus las Sieveking jetzt auf Einladung des Generationentreffs Enger und der Alzheimer Beratungsstelle aus dem gleichnamigen Buch mit dem Untertitel „Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und meine Eltern die Liebe neu entdeckten“. „Hier war ich noch nie“, sagt Gretel und blickt ins heimische Wohnzimmer.

Ihren Ehemann erkennt sie längst nicht mehr, auch seinen Namen hat sie vergessen. Dennoch nennt sie ihn „den Wichtigsten“. Als David ihr erklärt „Ich bin dein Sohn“, antwortet die Mutter: „Oh, das wäre aber schön.“ Diese und andere Szenen zeugen von einem liebevollen Miteinander, das dennoch für die pflegenden Angehörigen viele Schrecken gehabt haben muss. „Zunächst stand hinter der Diagnose Alzheimer für uns nur die Vorstellung vom Gedächtnisverlust. Erst später habe ich gemerkt, wie die Krankheit uns geholfen hat, viele Dinge in den menschlichen Beziehungsebenen auf den Punkt zu bringen“, sagt Sieveking. Denn Gretel habe plötzlich auch Themen angesprochen und Fragen gestellt, die in der Familie zuvor zurückgehalten wurden. Seine Mutter sei geprägt gewesen von der 68er Generation, berichtet der Filmemacher. Sie habe sich von ihren eigenen Kindern stets nur mit Vornamenanreden lassen und mit ihrem Mann eine „offene Ehe“ vereinbart. Mit über siebzig und als kranke Frau sei ihr erstmals ein „Ich liebe dich“ über die Lippen gekommen.

Neben all diesen emotionalen Erfahrungen spart Sieveking auch den körperlichen Verfall seiner Mutter nicht aus. Medikamente und Therapien seien in ihrem Fall wenig hilfreich gewesen, „weil viele Angebote einfach zu unflexibel waren“. In der letzten Phase habe er gemerkt, „dass irgendwann Sterbebegleitung wichtiger wird als Lebensverlängerung“. Die Entscheidung über das Legen einer Magensonde etwa habe die Familie lange beschäftigt.

Lange beschäftigen wird auch die Zuhörer, die ins katholische Gemeindehaus gekommen waren, diese Lesung. Sympathisch, locker und gar nicht rührselig gab Sieveking Einblick in einen ganz persönlichen Teil seines Lebens. Neben guten Tipps von Fachleuten, so teilte der Regisseur dem Publikum mit, habe ihm vor allem viel „Learning-bydoing“ und eine gehörige Portion Phantasie im Umgang mit der dementen Mutter geholfen.

Nominiert: Von Enger aus reiste David Sieveking weiter nach Berlin. Dort wurde nämlich Freitag Abend der Deutsche Filmpreis vergeben. „Vergiss mein nicht“ war in der Kategorie „Programmfüllende Dokumentarfilme“ nominiert, wir finden, unter den 3 besten Filmen zu sein ist eine ungewöhnliche Auszeichnung.

Günter Niermann